Sonntag, 15. November 2009

Übergang zur Marktwirschaft und die Folgen - Gentrifikation

Durch die Öffnung der Märkte nach 1989 wurden zahlungskräftige, meist ausländische Investoren ins Land gelockt, was einen Anstieg der Preise, und somit auch Gentrifikation zur Folge hatte. Dort wo man vorher billig wohnen konnte, kam es nun zu einer Ausbreitung von gehobeneren Diensten, also wurden diejenigen Bevölkerungsgruppen, die einkommensmäßig nicht mithalten konnten, vertrieben.


„Sichtbar wird auch in welche Gebiete heute das Kapital fließt, wo Einzelhandel, Dienstleistung und Luxussanierung eingesessene Bevölkerung verdrängen und wo Gebiete stagnieren oder durch fortschreitenden Verfall gekennzeichnet sind.“*


Expansion und Stagnation – historische Phasen der Stadtentwicklung


In keinem Teil der Stadt sind die Veränderungen so offensichtlicht, wie im historischen Zentrum. Hier konzentrieren sich Arbeit und Kapital.


Historisches Zentrum: 2% der gesamten Stadtfläche - Die absoluten Ausmaße von 8 km² sind verglichen mit jenen historischer Zentren anderer mitteleuropäischer Städte (z.B. Wien: 2 km²) jedoch allemal beachtlich


Blütezeit unter der Herrschaft des böhmischen Königs und deutschen Kaisers Karl IV. im 14. Jahrhundert mit bis zu 50.000 Einwohnern


Später: Bedeutungsverlust - Position als „Hauptstadt Europas“ verloren – Vorteil aus heutiger Sichtweise, da keine großen Umbauten


Heute: ein geschlossenes historisches Ensemble mit Bauwerken aus Gotik, Renaissance- und Barock


Die gesamte urbane Entwicklung der späteren Jahrhunderte bis zum Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sollte innerhalb der 500 Jahre zuvor errichteten Stadtmauern erfolgen (vgl. Sykora 1995).


Gründerzeitliche Stadterweiterung jenseits der ehemaligen Stadtmauern insgesamt bescheiden im Vergleich zu Wien


Verbauung der Zwischenkriegszeit stärker: Aufstieg Prags nach dem I. Weltkrieg,

1918 zum politischen und kulturellen Zentrum der neu errichteten Republik

bis heute physisch sichtbar in einer regen Bautätigkeit zu dieser Zeit


Gartenstädte jenseits der Innenstadtviertel:

Beispiele für Gartenstädte aus dieser Zeit sind unter anderem nordwestlich vom Hradschin Baba und Dejvice oder im SE der Stadt Spořilov: bevorzugte Wohngegenden, bereits in der Zwischenkriegszeit war der neu geschaffene Wohnraum eindeutig für die gehobene Mittel- und Oberschicht reserviert und blieb auch nach dem II. Weltkrieg bevorzugtes Wohngebiet von Parteifunktionären


Zeit des Kommunismus: am Stadtrand wurden, meist in einer bewussten räumlichen Absetzung von der Bebauung der Zwischenkriegszeit, neue Baugebiete erschlossen und vielgeschossige Plattenbauten in großer Zahl hochgezogen

Hier leben heute mit 40% der Prager Bevölkerung ungefähr genau so viele Menschen wie in den gründerzeitlichen und zwischenkriegszeitlichen Gebieten zusammen.


1968 erste und 1974 zweite Eingemeindung, um Grundstücksreserven für den Bau von Großsiedlungen zu gewinnen. Dadurch wuchs die Fläche der Stadt Prag auf 496 km^²


Bis Anfang der 80er Jahre entstanden die drei Großwohneinheiten mit jeweils ca. 100.000 Einwohnern.

Nordstadt (Severní Město)

Südstadt (Jižní Město) und

Südweststadt (Jihozápadní Město)


Die Untergrundbahn, deren drei Linien – die rote, die grüne, die gelbe - im Zeitraum von 1974 bis 1990 errichtet wurden, bilden das Rückgrad der Anbindung der Stadterweiterungsgebiete an das Zentrum (vgl. Braendle 1994, S. 2727; Lichtenberger 1993, S. 106).


Der Bau der Plattenbauten in großem Stil bis in die 80er Jahre ist als ein Produkt der Hauptstadtzentrierung und Vernachlässigung des ländlichen Raums mit der Konsequenz eines starken Bevölkerungszustroms (vgl. Tab. 1) und einer sozialistischen Planungsideologie in ihrer Abkehr von der bürgerlichen Stadt zu verstehen.


Plattenbauten sind aber auch eine Reaktion auf die sich seit der Zwischenkriegszeit weiter verschärfende Wohnungsnot, nicht nur als Auffangbecken für die Grundschicht sondern auch als bevorzugtes Wohngebiet für eine breite Mittelschicht.


Jenseits des Ringes der sozialistischen Plattenbauten endet die Stadt abrupt.

bis zur Stadtgrenze: Reserveflächen der gezielten Eingemeindungspolitik für Großwohnanlagen und Industrie aus der Zeit von vor 1989, die aufgrund der zunehmenden Wirtschaftskrise des kommunistischen Systems nur noch teilweise mit weiteren Wohnsiedlungen bebaut wurden.


nach der Wende insgesamt sehr zögerlich einsetzende Suburbanisierung:

  • zuerst wanderte das tertiäre Gewerbe an den Stadtrand,
  • Wohnbevölkerung folgt in einem viel geringerem Ausmaß als erwartet und beschränkt sich bis dato auf eine zahlungskräftige meist ausländische Elite


Suburbanisierungsprozess konzentriert sich dabei auf Dörfer, die infolge der großräumigen Eingemeindungspolitik im Staatssozialismus meist noch innerhalb der Stadtgrenze liegen.


Insgesamt ist die Bevölkerungszahl seit der Wende leicht zurück gegangen. Im Jahr 1996 zählt Prag 1,2 Mio. Einwohner (vgl. Tab. 1).


beobachtbare und beschriebene Veränderungen im Stadtraum sind unter anderem Ausdruck spezifischer Strategien im Bereich wichtiger Sektorpolitiken wie Wohnungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiken.

  • Wohnungsmarktpolitik auch nach der Wende eindeutig im nationalen Zuständigkeitsbereich
  • Wirtschafts- und Arbeitsmarkt seit der Öffnung der Grenze einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt - Globalisierung


Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org

Printquelle: Überarbeitete Fassung des Artikels aus: Geographische Rundschau, Heft 10/1999, S. 535-541

Autor/Autorin: Karin Vorauer • Titel: Samten nicht sanft – die Transformation Prags

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