Dienstag, 17. November 2009

Re-/Ent-/Industrialisierung






Die Geschichte von Prag als Industriestandort reicht weit ins 19.Jahrhundert. Wie die meisten Grosstädte der Habsburgermonarchie wurde Prag bereits Anfang des 19.Jh zu einem wichtigen Industriezentrum. Die Entwicklung des Industriesektors lässt sich gut anhand der Anzahl in der Industrie beschäftigten Menschen verfolgen. In 1871 waren 56,000 (also 25 %) der 220.000 Einwohner im Industriesektor beschäftigt. 1910 waren 40 % der arbeitenden Menschen im Industriesektor tätig, um 1930 hat der Dienstleistungssektor an Bedeutung gewonnen, der Industriesektor blieb aber weiterhin bedeutend - ca.36% der Stadtbevölkerung waren im Industriesektor tätig. Nach dem 2.WK kam es zu einer Reindustrialisierung, der Industriesektor hat stark zugenommen (entsprach den Vorstellungen der politischen Ideologie, die Industrialisierung war ein wichtiger Bestandteil des sowietischen Sozialismus). Der Höhepunkt wurde 1960 erreicht als mehr als 36 % der Bevölkerung in der Industrie arbeitete, ab den 1970er Jahren sank zwar die Zahl der Industriebeschäftigten, bis zum Ende der kommunistischen Ära blieb Prag eine industrieorientierte Stadt, der Sprung zu einer Dienstleistungsorientieren Stadt blieb aus. Nach 1990 kommt es zu einer raschen Entwicklung von einer Industriestadt zu einer Dienstleistungsorientierten Stadt und gleichzeitg wird Prag zu einem Tourismuszentrum.

Ideale sozialistische Stadt?




























Wie sieht überhaupt eine ideale, sozialistische Stadt aus?

Der Sozialismus war bemüht eine entdifferenzierte Gesellschaft in der Stadtstruktur und Wohnungsversorgung abzubilden. Ideale Vorstellungen reichen von Anleihen bei frühsozialistischen Utopien bis zu Anleihen bei den Funktionalisten, insbesonders sichtbar durch grossmassstäbliche Verkehrssysteme, monofunktionale Wohngebiete und standartisiertem Wohnungsbau.

Fehlende Suburbanisierung - dafür sozialistische Suburbanisierung?

Abnehmende Besiedelungsdichte in der Innenstadt, dafür neue Wohngebiete am Rand der Stadt. Diese Großwohnsiedlungen haben ein komplett anderes urbanes Umfeld als kompakte Blockbebaung (privat/öffentlich) und private Häuser mit “privatem” Grün. Der Benutzer hat komplette Freiheit, er kann den gesamten Aussenraum benutzen.

Die versuchte Flucht aus der Klaustropohobie einer kompakten Stadt führte zu einer Agoraphobie in diesem anonymen Niemandsland der offenen Flächen. Die vermeidung einer Vermischung von Funktionen verursachte die Entstehung von Schlafstädten – ein großes Netz von öffentlichen verkehrssystemen sollte dies lösen. Ein Pluspunkt ist sicher die Nähe von Grünland.

Prosek 1938-2003

Montag, 16. November 2009

Jizni mesto 1938-2003

Die Entwicklung von Jizni Mesto. Einst ein Vorort mit dörflicher Bebaung und landwirtschaftlicher Struktur, wurde Jizni Mesto zu einer der grössten sozialistischen Wohnsiedlungungen. Der Bau wurde Anfang der 70er Jahre begonnen, in dieser Zeit hatte man noch wenig Erfahrungen mit dem Bau von grossflächigen Plattenbausiedlung, als Folge kam es zu grossen infrastrukturellen Problemen, man kann die ganze Urbanistische Lösung als zweilfelhaft ansehen, erst beim Bau späterer Wohnsiedlungen konnten man aus diesen Fehlern lernen. Einrichtungen wie Schulen, Geschäfte, Medizinische Einrichtungen waren zwar geplant und im Bebauungsplan vorgesehen, fehlende finanzielle Mittel haben jedoch dazu geführt, dass diese erst viel später oder gar nicht realisiert wurden. Die Bevölkerung des Stadtteils wuchs viel schneller als das Angebot an diesen Einrichtungen nachkommen konnte. Unzureichend waren Verkehrswege (für Fussgänger sowie für Autos) und auch die Anbindung an das öffentliche Nahverkehrsmittelnetz war nicht ausreichend, dieses Problem konnte erst durch den Bau der ursprünglich nicht geplanten U-Bahn Anfang der 80er Jahre behoben werden. Auch die grosszügigen Freiflächen zwischen der Bebauung die als Erholungsflächen gedacht waren wurden vernachlässigt und erfüllten nie so richtig ihre Funktion. Durch das fehlende Angebot an Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglichkeiten und kulturellen Einrichtungen war Jizni Mesto eine Schlafstadt.
Ein deutlicher Wandel kam erst nach dem Jahr 1989, viele Versäumnisse der letzten ca. 15 Jahre wurden erst jetzt nachgeholt, durch ein verbessertes Angebot an Dienstleistungs-, Geschäfts- sowie Kultureinrichtungen konnte Jizni Mesto aufgewertet werden.





Bebaungsstruktur 1900, 1930, 1975











Entwicklung von Prag 1938-2003



Zone 1 – Historisches Zentrum, weitgehend unverändert, zwischenzeitlich historisches Slum, da die Prioritäten in der sozialistischen Zeit bei der Errichtung von neuen Wohngebieten waren, das historische Zentrum wurde vernachlässigt, die Bewohnerdichte nahm in dieser Zeit ab.

Fläche 1910 - 20 km2




Zone 2 – Der erste Innere Ring, Gebiete die Ende des 19.Jh und Anfang des 20.Jh entstanden sind, als zum die Einwohner Zahl zum ersten Mal deutlich anstieg. Überwiegend dichte Wohnblockbebaung in diesen Gebieten. An Rändern Ansiedlung von grösseren Industriebetrieben, die dann später in die Stadt "hineingewachsen" sind, als die Stadt erweitert wurde.

Fläche 1930 - 172 km2



Zone 3 – Die damaligen Randgebiete, Ansiedlung von Industrie

Fläche 1950 - 172 km2



Zone 4 – Die während des Kommunismus entstandenen Wohnsiedlungen.

Fläche 1974 - 496 km2 Eingemeindung der umliegenden Vororte.




Zone 5 – Neue suburbane Ansiedlungen aus der Zeit nach 1989

Prag wird oft als 2 parallel existierende 2 Städte bezeichnet, einerseits das touristisches Zentrum wo kaum Einrichtungen für Einheimische sind, ausserhalb dieser Stadt 2.Stadt für Einheimische.



Städtebauliche Transformation Prags vor und nach 1989

Der Zusammenbruch des Ostblocks im Jahr 1989 brachte eine Aufhebung der Teilung Europas.
Die daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Veränderungen werden besonders in der unterschiedlichen Betrachtung der Stadtentwicklung, also der tatsächlichen physischen Stadt,
vor und nach der Wende sichtbar.

Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Sozialismus als totales gesellschaftliches Zoning Law auf eine Stadt wie Prag hatte und ob es eine rein sozialistische Stadt gibt.
Weiters wäre interessant zu wissen, ob bestimmte historische Entwicklungen in den beiden Systemen im großen und ganzen dann doch zu �hnlichen Resultaten, Typologien in der gebauten Umwelt führten, oder ob es durch den Kommunismus zu einem Aufschub von universellen (aus westlicher Sicht) städtebaulichen Prozessen kam, die nach dem Fall des eisernen Vorhangs durch den Übergang zur Marktwirtschaft mit hoher Geschwindigkeit nachgeholt wurden.

Sonntag, 15. November 2009

Übergang zur Marktwirschaft und die Folgen - Gentrifikation

Durch die Öffnung der Märkte nach 1989 wurden zahlungskräftige, meist ausländische Investoren ins Land gelockt, was einen Anstieg der Preise, und somit auch Gentrifikation zur Folge hatte. Dort wo man vorher billig wohnen konnte, kam es nun zu einer Ausbreitung von gehobeneren Diensten, also wurden diejenigen Bevölkerungsgruppen, die einkommensmäßig nicht mithalten konnten, vertrieben.


„Sichtbar wird auch in welche Gebiete heute das Kapital fließt, wo Einzelhandel, Dienstleistung und Luxussanierung eingesessene Bevölkerung verdrängen und wo Gebiete stagnieren oder durch fortschreitenden Verfall gekennzeichnet sind.“*


Expansion und Stagnation – historische Phasen der Stadtentwicklung


In keinem Teil der Stadt sind die Veränderungen so offensichtlicht, wie im historischen Zentrum. Hier konzentrieren sich Arbeit und Kapital.


Historisches Zentrum: 2% der gesamten Stadtfläche - Die absoluten Ausmaße von 8 km² sind verglichen mit jenen historischer Zentren anderer mitteleuropäischer Städte (z.B. Wien: 2 km²) jedoch allemal beachtlich


Blütezeit unter der Herrschaft des böhmischen Königs und deutschen Kaisers Karl IV. im 14. Jahrhundert mit bis zu 50.000 Einwohnern


Später: Bedeutungsverlust - Position als „Hauptstadt Europas“ verloren – Vorteil aus heutiger Sichtweise, da keine großen Umbauten


Heute: ein geschlossenes historisches Ensemble mit Bauwerken aus Gotik, Renaissance- und Barock


Die gesamte urbane Entwicklung der späteren Jahrhunderte bis zum Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sollte innerhalb der 500 Jahre zuvor errichteten Stadtmauern erfolgen (vgl. Sykora 1995).


Gründerzeitliche Stadterweiterung jenseits der ehemaligen Stadtmauern insgesamt bescheiden im Vergleich zu Wien


Verbauung der Zwischenkriegszeit stärker: Aufstieg Prags nach dem I. Weltkrieg,

1918 zum politischen und kulturellen Zentrum der neu errichteten Republik

bis heute physisch sichtbar in einer regen Bautätigkeit zu dieser Zeit


Gartenstädte jenseits der Innenstadtviertel:

Beispiele für Gartenstädte aus dieser Zeit sind unter anderem nordwestlich vom Hradschin Baba und Dejvice oder im SE der Stadt Spořilov: bevorzugte Wohngegenden, bereits in der Zwischenkriegszeit war der neu geschaffene Wohnraum eindeutig für die gehobene Mittel- und Oberschicht reserviert und blieb auch nach dem II. Weltkrieg bevorzugtes Wohngebiet von Parteifunktionären


Zeit des Kommunismus: am Stadtrand wurden, meist in einer bewussten räumlichen Absetzung von der Bebauung der Zwischenkriegszeit, neue Baugebiete erschlossen und vielgeschossige Plattenbauten in großer Zahl hochgezogen

Hier leben heute mit 40% der Prager Bevölkerung ungefähr genau so viele Menschen wie in den gründerzeitlichen und zwischenkriegszeitlichen Gebieten zusammen.


1968 erste und 1974 zweite Eingemeindung, um Grundstücksreserven für den Bau von Großsiedlungen zu gewinnen. Dadurch wuchs die Fläche der Stadt Prag auf 496 km^²


Bis Anfang der 80er Jahre entstanden die drei Großwohneinheiten mit jeweils ca. 100.000 Einwohnern.

Nordstadt (Severní Město)

Südstadt (Jižní Město) und

Südweststadt (Jihozápadní Město)


Die Untergrundbahn, deren drei Linien – die rote, die grüne, die gelbe - im Zeitraum von 1974 bis 1990 errichtet wurden, bilden das Rückgrad der Anbindung der Stadterweiterungsgebiete an das Zentrum (vgl. Braendle 1994, S. 2727; Lichtenberger 1993, S. 106).


Der Bau der Plattenbauten in großem Stil bis in die 80er Jahre ist als ein Produkt der Hauptstadtzentrierung und Vernachlässigung des ländlichen Raums mit der Konsequenz eines starken Bevölkerungszustroms (vgl. Tab. 1) und einer sozialistischen Planungsideologie in ihrer Abkehr von der bürgerlichen Stadt zu verstehen.


Plattenbauten sind aber auch eine Reaktion auf die sich seit der Zwischenkriegszeit weiter verschärfende Wohnungsnot, nicht nur als Auffangbecken für die Grundschicht sondern auch als bevorzugtes Wohngebiet für eine breite Mittelschicht.


Jenseits des Ringes der sozialistischen Plattenbauten endet die Stadt abrupt.

bis zur Stadtgrenze: Reserveflächen der gezielten Eingemeindungspolitik für Großwohnanlagen und Industrie aus der Zeit von vor 1989, die aufgrund der zunehmenden Wirtschaftskrise des kommunistischen Systems nur noch teilweise mit weiteren Wohnsiedlungen bebaut wurden.


nach der Wende insgesamt sehr zögerlich einsetzende Suburbanisierung:

  • zuerst wanderte das tertiäre Gewerbe an den Stadtrand,
  • Wohnbevölkerung folgt in einem viel geringerem Ausmaß als erwartet und beschränkt sich bis dato auf eine zahlungskräftige meist ausländische Elite


Suburbanisierungsprozess konzentriert sich dabei auf Dörfer, die infolge der großräumigen Eingemeindungspolitik im Staatssozialismus meist noch innerhalb der Stadtgrenze liegen.


Insgesamt ist die Bevölkerungszahl seit der Wende leicht zurück gegangen. Im Jahr 1996 zählt Prag 1,2 Mio. Einwohner (vgl. Tab. 1).


beobachtbare und beschriebene Veränderungen im Stadtraum sind unter anderem Ausdruck spezifischer Strategien im Bereich wichtiger Sektorpolitiken wie Wohnungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiken.

  • Wohnungsmarktpolitik auch nach der Wende eindeutig im nationalen Zuständigkeitsbereich
  • Wirtschafts- und Arbeitsmarkt seit der Öffnung der Grenze einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt - Globalisierung


Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org

Printquelle: Überarbeitete Fassung des Artikels aus: Geographische Rundschau, Heft 10/1999, S. 535-541

Autor/Autorin: Karin Vorauer • Titel: Samten nicht sanft – die Transformation Prags